Manche Leute erben schöne Dinge: Villen, Schmuck, Gemälde, Geld. Nun könnte ich mich im Prinzip nicht beschweren. Auch ich habe schon mal was geerbt. Kein Vermögen, aber ganz nett.
Nun weiß ich seit vergangener Woche, dass ich noch etwas geerbt habe und das ist ganz und gar nicht nett.
Vor etwa 30 Jahren wurde bei meiner Mutter Zystennieren (nicht zu verwechseln mit den eher harmlosen Nierenzysten) festgestellt. Für die, die nicht wissen, was das genau ist, möchte ich es mittels ein paar kurzer Zitate erklären:
Beim Krankheitsbild Zystennieren handelt es sich um eine schwere, stetig fortschreitende Nierenerkrankung, die in ihrem Verlauf in der Regel zu einem totalen Nierenversagen führt.
Die Erkrankung wird autosomal dominant vererbt, das bedeutet, sie tritt unabhängig vom Geschlecht auf, sobald ein Gen mit defektem Erbmaterial weitergegeben wird.
Die Zystennieren entwickeln sich aus dem Harnrohrsystem. Da die Zysten in Größe und Anzahl stetig zunehmen, vergrößert sich die Niere im Laufe der Zeit und das normale Nierengewebe wird durch Zysten ersetzt, wobei meist beide Nieren betroffen sind.
Die ersten Symptome treten selten vor dem 40. Lebensjahr auf. Erst wenn ein erheblicher Teil des normalen Nierengewebes von Zysten durchsetzt ist, nimmt die Funktionstüchtigkeit der Niere ab.
Die Therapie bei Zystennieren erfolgt rein symptomatisch. Harnwegsinfekte werden mit Antibiotika behandelt. Medikamente, die die Nieren zusätzlich angreifen könnten, sollten vermieden werde. Bei Patienten, deren Nierenfunktion sich durch das Wachstum der Zysten zusehend verschlechtert, muss im schlimmsten Fall eine Dialyse oder Transplantation angedacht werden.
Meine Mutter musste schließlich ab 1995 oder 1996 dialysiert werden, sprich sie bekam 3x wöchentlich eine Blutwäsche, bei der all die Stoffe, die die Nieren nicht mehr verarbeiten und mittels Urin ausscheiden können, aus dem Blut geholt werden.
So etwas dauert – je nach Körpergewicht und Blutmenge – 4 bis 6 Stunden. Nach der Dialyse hatte meine Mutter meistens Kopfschmerzen. Die Tage waren für sie also weitestgehend gelaufen.
Prinzipiell ist das natürlich besser, als ohne Dialyse einfach zu sterben. Allerdings wirkt sich auch die Dialyse mit den Jahren auf den Körper aus. Bei meiner Mutter schlug sie nach mehr als 10 Jahren aufs Herz. Sie bekam mehrere Infarkte und ist dann schließlich 2007 mit 63 Jahren verstorben.
In den letzten Jahren stellte sich heraus, dass meine Geschwister die Zystennieren von meiner Mutter geerbt haben. Meine Schwester, die um vieles älter ist als ich, wird auch bereits seit 6 oder 7 Jahren dialysiert. Mein Bruder kommt nun seit ein paar Wochen in diesen „Genuß“.
Bislang dachte / hoffte ich, dass dieser Kelch an mir vorübergehen würde. Meine Blutwerte waren immer prima und in meinem 3-OP-Jahr (siehe Wenn der Nabel mal kaputt ist und Ich krieg einfach nicht genug ) wurde ja an meinem Bauch so viel rumgeschnippelt und sonographiert, dass ich der Meinung war, bei mir wäre wohl nichts. Zumindest fiel damals niemandem etwas auf.
Als nun klar war, dass mein Bruder an die Dialyse muss, dachte ich mir, dass es wohl doch nicht schaden könne, mich zum ersten Mal nach 20 Jahren (damals war nichts zu erkennen) wieder auf Zystennieren untersuchen zu lassen.
Tja – und auch ich habe den Mist geerbt. Fünf große und viele kleine Zysten kamen zum Vorschein. Die Nieren sind wohl auch schon deutlich vergrößert. Nun ist das noch kein Grund Trübsal zu blasen. Noch funktionieren die Dinger und bei der letzten Blutuntersuchung waren die Nierenwerte auch OK. Aber letztendlich ist klar, dass sie irgendwann ihren Dienst einstellen werden.
Ich rechne nicht heute und auch nicht morgen damit. Aber auch wenn es vielleicht erst in 20 Jahren oder später der Fall sein sollte: Mir wird dabei mal wieder die Endlichkeit eines … nein … meines Lebens deutlich. Und womit ich nicht so alles meine Lebenszeit verschwende.
Ich möchte in Zukunft versuchen, solche Punkte – soweit möglich – aus meinem Leben zu streichen. Wahrscheinlich wird es mir nicht mal bei der Hälfte gelingen, aber ich finde es gut, sich dessen zumindest bewusst zu werden. Aktuell bin ich z. B. am überlegen, ob ich es mir auf Dauer leisten könnte, meine Arbeitszeit zu reduzieren. Und ich versuche, den Stress, den ich mir in vielerlei Hinsicht oft selbst mache, einzudämmen.
Ansonsten steht erst mal demnächst eine neue Blutuntersuchung an, da die letzte schon beinahe ein Jahr her ist. Das werd ich nun wohl engmaschiger machen müssen, damit relativ zeitnah erkennbar ist, wenn meine Nieren schlapp machen.
Drückt mir die Daumen, dass das noch etwas dauert.
Ich werde euch weiter auf dem Laufenden halten.
Liebe Grüße,
Holger